Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen des Deutschen Bundestages zum Baugesetzbuch, „§ 246c Abweichungen vom Baugesetzbuch für den Wiederaufbau im Katastrophenfall; 
Verordnungsermächtigung“ am 17.04.2023

Dr.-Ing. Martin Rumberg, Stellvertretender Vorsitzender der SRL 

Sehr geehrte Frau Vorsitzende, 
sehr geehrte Damen und Herren,

für die Gelegenheit, im Rahmen der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen des Deutschen Bundestages Stellung zu nehmen, danken wir Ihnen sehr. Nachfolgend erhalten Sie die schriftliche Stellungnahme, verbunden mit dem Hinweis, dass es aufgrund der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen ist, zu allen Inhalten detaillierte Vorschläge auszuarbeiten und abzustimmen. Die Stellungnahme ist gegliedert in einen allgemeinen Teil, der die Ziele, den Ansatz und die inhaltliche Reichweite der geplanten Regelung thematisiert, und einen zweiten Teil, der sich auf die geplanten Regelungen im Einzelnen bezieht.

(A) Allgemeine Stellungnahme 

Ziel und Mechanismus der geplanten Regelung

Mit dem geplanten § 246c BauGB-E sollen erstmals dauerhafte Regelungen zum flächenhaften Wiederaufbau nach Katastrophen ins Planungsrecht aufgenommen werden. Insbesondere die Flutkatastrophe 2021 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hat Probleme aufgeworfen, die mit dem vorhandenen planungsrechtlichen Instrumentarium nicht zu bewältigen waren. Dies hat im „Krisenmodus“ zur Aufnahme kurzfristiger, inzwischen ausgelaufener Sonderregelungen ins Baugesetzbuch geführt, um zumindest eine Zulässigkeitsgrundlage für dringend benötigte temporäre Ersatzgebäude herzustellen.

Einschätzung und Empfehlung

Der mit dem vorliegenden Entwurf verfolgte Anspruch, solche Regelungen unabhängig von konkreten Ereignissen allgemein vorzugeben, ist ausdrücklich zu begrüßen. Der Handlungsbedarf ist eindeutig gegeben. Ein klarer gesetzlicher Rahmen mit einem geregelten Verfahren hat das Potential, die Gemeinden im Katastrophenfall schneller und besser handlungsfähig zu machen. Damit steigern solche Regelungen auch die Resilienz der Gemeinden gegenüber den zunehmenden Herausforderungen des Klimawandels.

Es ist nach dem vorliegenden Entwurf vorgesehen, die Sonderregelungen zur Katastrophenbewältigung durch die Länder befristet, selektiv und räumlich begrenzt im Weg der Rechtsverordnung aktivieren zu lassen.

Einschätzung und Empfehlung

Die zielgerichtete Aktivierung durch die Länder ist angesichts der Zuständigkeit der Länder u. a. für den Katastrophenschutz, die Raumordnung und die Bauaufsicht ein sinnvoller Mechanismus: Die Länder verfügen in einer Großschadenslage am ehesten über die notwendigen Informationen und Ressourcen, um die betroffenen Flächen abzugrenzen und das Erfordernis für Abweichungen von den üblichen Regelungen des Planungsrechts einzuschätzen. 

Wir empfehlen jedoch zu überprüfen, ob dazu wirklich eine Verordnung notwendig ist, oder ob nicht zur Vereinfachung auch ein Verwaltungsakt der zuständigen obersten Landesbehörde (Bauaufsicht und/oder Landesplanung) ausreichend wäre. Das würde auch nachträgliche räumliche und sächliche Anpassungen erleichtern.

Die Regelungen sollen nicht nur nach Hochwasserereignissen, sondern grundsätzlich nach allen Arten von Katastrophen anwendbar sein. 

Einschätzung und Empfehlung

Grundsätzlich ist es sinnvoll, die Regelungen möglichst breit und flexibel anwendbar zu machen. Allerdings gibt es nur für Hochwasserrisiken ein umfassendes flächenbezogenes System der Katastrophenvorsorge, nämlich die im Gesetzentwurf beispielhaft genannten Überschwemmungsgebiete, außerdem Gefahrenkarten, Risikokarten und Risikomanagementpläne. Für andere Naturrisiken wie (Wald-)Brände, Sturm/Wirbelsturm, Erdbeben oder Hang-rutschungen existiert nichts Vergleichbares, und das für besondere Technikrisiken gültige Reglement der Seveso-III-Richtlinie verfolgt einen anderen systematischen Ansatz. Teils dürfte es daher nicht einmal möglich sein, die „für die jeweilige Katastrophenvorsorge zuständige Behörde“ (so die Formulierung im vorliegenden Entwurf) zu identifizieren, die ihr Einvernehmen zu einem angepassten Wiederaufbau erteilen könnte. 

Es ist daher zu empfehlen, in einem nächsten Schritt systematisch für alle raum- und planungsrelevanten natürlichen und technischen Risiken zu prüfen, ob die Regelungen darauf sinnvoll anwendbar sind, und sie ggf. auch danach zu differenzieren bzw. nachzuschärfen. 

Ansatzpunkt der Regelungen und weitergehender Handlungsbedarf

Festlegungen zum Wiederaufbau müssen einen schwierigen Spagat bewältigen: Einerseits sind sehr schnelle und möglichst einfache Lösungen erforderlich, andererseits muss im Wiederaufbau unter schwierigen Rahmenbedingungen eine dauerhaft tragfähige Siedlungsstruktur geschaffen werden, die gegenüber Katastrophen resilienter ist als zuvor und insgesamt den Anforderungen an eine nachhaltige, klimaangepasste Siedlungsentwicklung entspricht.

Der vorliegende Entwurf des § 246c BauGB legt den Schwerpunkt auf Vereinfachung und Beschleunigung. Er beinhaltet Sonderregelungen im Allgemeinen Städtebaurecht für die Zulässigkeit baulicher Anlagen in Wiederaufbaugebieten und für die verbindliche Bauleitplanung für Wiederaufbaugebiete und Ersatzsiedlungsflächen. Die Zulässigkeit dringend notwendiger temporärer Anlagen wird gesondert geregelt.

Einschätzung und Empfehlung

Regelungen zur Vereinfachung und Beschleunigung des Wiederaufbaus im Allgemeinen Städtebaurecht sind zweifellos erforderlich, decken aber nur einen Ausschnitt der sich im Wiederaufbau stellenden planerischen und bodenrechtlichen Herausforderungen ab. 

Wir empfehlen, in einem nächsten Schritt zu prüfen, welche weiteren Sonderregelungen bzw. Instrumente für einen schnelleren und besseren Wiederaufbau sinnvoll sein könnten, und geben dafür folgende Anregungen:

  • Basis für alle Schritte des Wiederaufbaus ist die grundlegende Entscheidung, welche stark zerstörten Siedlungsflächen wiederaufgebaut und welche räumlich verlagert werden. Diese Entscheidung hat tiefgreifende Auswirkungen, schlussendlich verändert sie die Grundzüge der städtebaulichen Ordnung und führt auch zur Rücknahme bestehender Baurechte, zu Eingriffen ins Eigentum und zum weitgehenden Verlust des bisherigen Bodenwerts. Der vorliegende Entwurf enthält zu den grundlegenden Standortentscheidungen und den sich stellenden bodenrechtlichen Fragen noch nichts. Hierfür wäre eine Regelung wünschenswert, die die Belange der Betroffenen, der städtebaulichen Entwicklung und der katastrophenvorsorgenden Fachplanung transparent koordiniert und die neu entstehenden bodenrechtlichen Verhältnisse von der Korrektur des Flächennutzungsplans über die Neugestaltung der Baurechte und der Eigentumsverhältnisse bis zur Neufestlegung des Bodenrichtwerts abbildet. Eine rein fachplanungsrechtliche Herangehensweise (z. B. durch Neufestlegung von Überschwemmungsgebieten) ist dafür erkennbar nicht ausreichend. Wie eine integrierte Regelung genau aussehen könnte, bedarf vertiefter Analysen. Angesichts der tiefgreifenden bodenrechtlichen Eingriffe, die notwendig sind, wenn Siedlungsflächen nach einer Katastrophe verlagert oder angepasst wiederaufgebaut und neu erschlossen werden müssen, sollte dafür das besondere Städtebaurecht in den Blick genommen werden. So könnte erwogen werden, eine „städtebauliche Gesamtmaßnahme Wiederaufbau“ als Kombination aus Elementen der Sanierungs-, Entwicklungs- und Stadtumbaumaßnahme zu konzipieren, die die zur Planung und Umsetzung erforderlichen Instrumente konzentriert.
  • Vor allem bei einem angepassten Wiederaufbau werden oftmals Veränderungen in der Erschließungs- und Grundstücksstruktur notwendig, die mit dem regulären Recht der Planverwirklichung nicht hinreichend bewältigt werden können. Hierfür sind weitergehende Regelungen denkbar, die auch einen geordneten Tausch von Grundstücken gegen Ersatzbauland beinhalten könnten. Dies könnte ggf. wiederum im Rahmen der oben genannten, neu zu konzipierenden städtebaulichen Gesamtmaßnahme geschehen, oder über Sonderregelungen im Erschließungs- und Umlegungsrecht.
  • Ersatzsiedlungsflächen in den betroffenen und benachbarten Gemeinden müssen zügig, aber auch koordiniert bereitgestellt werden. Es leuchtet ein, dass der reguläre Weg über die überörtliche Koordination im Regionalplan, die Änderung bzw. Neuaufstellung der Flächennutzungspläne und die Aufstellung von Bebauungsplänen im Wiederaufbau zu zeitaufwendig ist und die ohnehin stark angespannten kommunalen Ressourcen überfordert. Andererseits birgt eine unkoordinierte Schaffung von Einzelflächen über mehrere Gemeinden hinweg die Gefahr, infrastrukturelle und ökologische Folgeprobleme auszulösen und kein qualitativ und quantitativ passgenaues Flächenangebot zu schaffen. Hierfür ist perspektivisch ein pragmatisches interkommunales Verfahren für die Abstimmung der Ersatzsiedlungsflächen erforderlich, das z. B. durch die Raumordnung koordiniert werden könnte. Möglicherweise kann es auch sinnvoll sein, potenzielle Ersatzsiedlungsflächen vorausschauend und langfristig zu sichern, z. B. über den Regional- oder den Flächennutzungsplan. Hierfür müsste im Recht der Flächennutzungsplanung oder im Raumordnungsrecht eine Grundlage geschaffen werden, die auch mögliche unerwünschte Folgewirkungen (z. B. in der Bodenpreisentwicklung) einbeziehen müsste.
  • Insgesamt bedarf es noch einer Betrachtung der Regelungen außerhalb des Städtebaurechts, für die im Sinne einer Gesamtstrategie für den Wiederaufbau ggf. Folgeanpassungen erforderlich sind. Beim Wiederaufbau treten vielfältige Wechselwirkungen zwischen Städtebaurecht und Umwelt-, Fachplanungs-, Bauordnungs- und Raumordnungsrecht, aber auch Katastrophenschutzrecht auf, deren Schnittstellen geklärt werden sollten. 

(B) Stellungnahme zu den konkret geplanten Einzelregelungen 

Abgrenzung und Festlegung von „Wiederaufbaugebieten“ (Absätze 1 und 3)

Nach § 246c Abs. 1 BauGB-E weisen die Länder konkrete Gebiete mit vorhandener massiver Schädigung als „Wiederaufbaugebiete“ aus. 

Einschätzung und Empfehlung

Der Begriff „Wiederaufbaugebiete“ ist missverständlich; da offensichtlich alle Gebiete gemeint sind, in denen die Bausubstanz durch eine Katastrophe erheblich geschädigt und/oder unmittelbar gefährdet ist – unabhängig davon, ob diese Gebiete tatsächlich wieder aufgebaut werden sollen oder ob die bauliche Nutzung auf Ersatzsiedlungsflächen verlagert werden soll. Darauf deutet jedenfalls der Passus in § 246c Abs. 3 BauGB-E hin, nach dem Entsiegelungen im Wiederaufbaugebiet auf Ersatzbauflächen angerechnet werden sollen. Insofern war der in der Formulierungshilfe ursprünglich gewählte Begriff „Katastrophengebiete“ treffender. Wir empfehlen daher, zu diesem Begriff zurückzukehren.

 Insgesamt würde die Regelung verständlicher werden, wenn die für den Wiederaufbau relevanten Flächenkulissen klar definiert werden würden. Zu unterscheiden wären dabei:

Unmittelbar betroffene Gebiete, die an Ort und Stelle wiederaufgebaut werden sollen, also tatsächliche Wiederaufbaugebiete. Dort sollen Vereinfachungen und Beschleunigungen für den Wiederaufbau greifen.

  • Unmittelbar betroffene Gebiete, aus denen die Bebauung verlagert werden soll. Hier soll eine Bebauung künftig unterbunden werden.
  • Das sonstige, nicht unmittelbar betroffene Gemeindegebiet, in dem vorübergehend oder dauerhaft Ersatzstandorte für Baugebiete und Infrastruktur geschaffen werden. Dort sollen Erleichterungen und Beschleunigungen für die Neuausweisung oder Umplanung von Baugebieten sowie für dringend benötigte temporäre Anlagen greifen.
  • Benachbarte Gemeinden, die ebenfalls unter erleichterten Bedingungen Ersatzstandorte aufnehmen sollen.

Zu überlegen ist, ob der pauschale Begriff der „benachbarten Gemeinde“ hier angemessen ist. Der Verlauf von Gemeindegrenzen ist ein Stück weit zufällig, Gemeinden sind auch sehr unterschiedlich groß. Topographie und Siedlungsstruktur unterscheiden sich individuell. Die Größe der Fläche, die für die Bewältigung von Katastrophen benötigt wird, hängt auch vom Umfang der betroffenen Siedlungsfläche und von der Mitwirkungsbereitschaft bzw. -fähigkeit benachbarter Gemeinden ab. So mag es Fälle geben, in denen überhaupt nicht auf Nachbargemeinden zugegriffen werden muss, aber auch Fälle, in denen über die unmittelbar benachbarten Gemeinden hinaus Flächenbedarfe gedeckt werden müssen. Wir empfehlen daher zu prüfen, die Pauschalfestlegung „benachbarte Gemeinden“ zu streichen und die nicht selbst betroffenen Gemeinden, in denen nach einer Katastrophe Erleichterungen für die Aufnahme temporärer Anlagen und die Ausweisung von Ersatzbauland aktiviert werden sollen, in den Landesverordnungen explizit festlegen zu lassen. Dann hätten die Länder die Möglichkeit, differenziert und abhängig von den oben genannten Kriterien die jeweils angemessene räumliche Begrenzung eindeutig festzulegen.

Dringend benötigte bauliche Anlagen oder Infrastruktureinrichtungen (Absätze 2 Nr.1, 4 und 7)

Für dringend benötigte temporäre Anlagen können nach den vorgesehenen Regelungen befristete Genehmigungen erteilt werden, auch wenn die Voraussetzungen nach den §§ 29-35 BauGB nicht vorliegen. Diese Genehmigungen können nach dem Absatz 7 in den ersten sechs Monaten auch ohne Vorliegen einer Landesverordnung erteilt werden. 

Einschätzung und Empfehlung

Es ist nach den Erfahrungen der Hochwasserkatastrophe 2021 eindeutig erforderlich, einen Sondertatbestand für temporäre Anlagen zu schaffen. Die vorgesehene zeitliche Staffelung (sechs Monate ohne Verordnung, danach mit) ist sachgerecht, ebenso die für die Genehmigung vorgesehenen Befristungen. Insgesamt schafft die Regelung eine unmittelbar einsatzbereite und belastbare Rechtsgrundlage für die operative Katastrophenbewältigung, z. B. für die im Ahrtal mehrfach eingesetzten Tiny-House-Siedlungen für übergangsweise Ersatzwohnungen und temporäre Ersatzstandorte der kommunalen Infrastruktur. 

Im Detail bestehen zwei Verständnisfragen:

  • Was ist mit „Infrastruktureinrichtungen“ hier gemeint? Infrastruktureinrichtungen sind häufig bauliche Anlagen, und wenn nicht, fallen sie i. d. R. nicht unter die §§ 29-35 BauGB. Falls damit Erschließungsanlagen gemeint sind, wäre zu überlegen, auch eine Befreiung von § 125 BauGB (Bindung der Erschließung an den Bebauungsplan) zu ermöglichen. Für Infrastruktureinrichtungen, die der Fachplanung unterliegen, müssen ggf. die einschlägigen Fachgesetze angepasst werden; eine Regelung im BauGB hilft hier kaum weiter.
  • Ist in § 246c Abs. 2 Nr. 1 BauGB-E das in Absatz 7 genannte „Gebiet der von der Katastrophe betroffenen Gemeinde“ bewusst nicht aufgeführt? Der Wortlaut der Regelung führt zu der paradoxen Situation, dass Anlagen in abgegrenzten Wiederaufbaugebieten und in benachbarten Gemeinden, nicht aber in der betroffenen Gemeinde außerhalb der Wiederaufbaugebiete zulässig wären. Dies könnte ein redaktionelles Versehen sein.

(Angepasster) Wiederaufbau in Wiederaufbaugebieten (Absatz 2 Nr. 2, 3 und 4)

Mit der Regelung soll ein angepasster Wiederaufbau ermöglicht werden, auch wenn die Zulässigkeitsgrenzen der §§ 29-35 BauGB dabei überschritten werden. Es soll dabei auch möglich sein, den Standort „geringfügig“ (so der Wortlaut des vorliegenden Entwurfs) zu verschieben.

Einschätzung und Empfehlung

Ob der Ansatz in der Praxis dazu geeignet ist, den Wiederaufbau von Gebieten zu beschleunigen, muss die praktische Anwendung zeigen. Wenn die fachlichen Anforderungen an einen angepassten Wiederaufbau eindeutig sind, die angepassten Bauweisen (praktisch dürfte es meist um veränderte Bodenniveaus, Gebäudehöhen und Erdgeschossnutzungen gehen) bauordnungsrechtlich zulässig sind und andere Belange nicht entgegenstehen, erspart die Regelung die Aufstellung eines Bebauungsplans mit entsprechendem Zeit- und Ressourcenaufwand, wodurch sich eine substanzielle Beschleunigung ergibt.

In vielen Fällen, vor allem in historisch bebauten Innenbereichen, dürfte dieser pragmatische Siedlungsumbau aber an Grenzen stoßen, weil z. B. der Erhöhung von Gebäuden das Abstandsflächenrecht der Landesbauordnungen entgegensteht, oder weil die Erschließung, die in betroffenen Gebieten i. d. R. auch zerstört ist, mit Auswirkungen auf die Grundstücke ebenfalls angepasst werden muss. Es wird dann vermutlich schnell die Grenze zum städtebaulichen Erfordernis der Aufstellung von Bauleitplänen erreicht sein. Für diese kann dann i. d. R. auf das beschleunigte Verfahren mit Vorprüfung zurückgegriffen werden, wobei die Maßstäbe für die Bewertung des Umweltzustands auf katastrophenbetroffenen Flächen bislang weitgehend unklar sind (welcher Zeitpunkt ist zugrunde zu legen?). 

Die für die Fallkonstellation b) geltenden Anforderungen (nachbarliche Interessen, öffentliche Belange) sollten auch für Fall a) gelten. Angepasste Bauweisen werden in der Praxis nicht selten bedeuten, dass deutlich höher gebaut wird als bisher oder das Bodenniveau verändert wird. Dies betrifft nachbarliche und öffentliche Belange gleichermaßen. 

Die Fallkonstellation b) (Wiederaufbau mit geringfügig versetztem Standort) könnte in der Praxis zu Auslegungsproblemen führen. Der Begriff der Geringfügigkeit ist im Bauplanungsrecht nicht eindeutig gefasst: Bei der „geringfügigen Überschreitung“ von Baugrenzen geht es beispielsweise um wenige Zentimeter, bei der Entwicklung von Bebauungsplänen aus dem Flächennutzungsplan können auch Abweichungen um 20 Meter „geringfügig“ sein. Auch im Wiederaufbau müsste wohl die konkrete bauliche und topographische Situation einbezogen werden; im Innenbereich sind die Toleranzen auch wegen einzuhaltender Abstandsflächen und Grundstücksgrenzen viel geringer als z. B. beim Wiederaufbau einzelner Gebäude im Außenbereich. Damit wird umzugehen sein, denn eine rechtlich eindeutige Regelung dürfte an den stark unterschiedlichen individuellen Fallkonstellationen scheitern.

Mit § 246c Abs. 5 BauGB-E wird u. a. die Frist für die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens auf einen Monat verkürzt. Dies ist sicher ein Beschleunigungsansatz, erhöht aber den Zeitdruck auf die Gemeindegremien, die infolge des Katastrophenfalls ohnehin überstrapaziert und eingeschränkt handlungsfähig sind. Gerade im Innenbereich sind nach den Erfahrungen aus dem Ahrtal die Beurteilung und die Abstimmung mit den Anpassungserfordernissen oftmals komplex. Es sollte daher erwogen werden, zumindest eine Verlängerungsoption vorzusehen.

Ersatzsiedlungsflächen incl. Ausgleich von Eingriffen in Boden, Natur und Landschaft (Absätze 2 Nr. 3 bis 5) 

Für die Aufstellung, Änderung oder Ergänzung von Bauleitplänen zur Neuausweisung oder Umplanung von Baugebieten in einer Gemeinde mit einem Wiederaufbaugebiet oder in einer benachbarten Gemeinde soll eine modifizierte Eingriffsregelung eingeführt werden. Für kleinere Baugebiete bis zu einer festgesetzten Grundfläche von 70.000 qm wird außerdem das beschleunigte Verfahren nach § 13a BauGB mit Vorprüfung des Einzelfalls ermöglicht. Für diese Bebauungspläne entfällt damit auch die Bindung an den Flächennutzungsplan und die Pflicht zum Ausgleich von Eingriffen in Boden, Natur und Landschaft. Mit dieser Regelung soll die Schaffung von Baurecht für dringend benötigte Ersatzbauflächen vereinfacht und beschleunigt werden. 

Einschätzung und Empfehlung

Wie schon im allgemeinen Teil der Stellungnahme dargelegt, fehlt es bisher an einem geeigneten Verfahren, mit dem der quantitative und qualitative Bedarf an Ersatzbauflächen festgestellt und diese Bauflächen überörtlich koordiniert werden. Wir empfehlen daher, die Regelung in § 246c Abs. 2 Nr. 4 BauGB-E zumindest um die Einschränkung zu ergänzen, dass sie nur für die Neuausweisung oder Umplanung von Baugebieten anwendbar ist, die der Kompensation verlorengegangener Siedlungsflächen dienen. Ansonsten könnten letztlich alle Gemeinden, die einem Wiederaufbaugebiet benachbart sind, unabgestimmt kleinere Baugebiete aller Nutzungsarten ohne Bindung an den Flächennutzungsplan ausweisen. Dies würde einer geordneten und nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung widersprechen. 

Mit der allgemeinen Pflicht zur überschlägigen Vorprüfung wird den Umweltanforderungen angemessen Rechnung getragen. Gleichzeitig wird für kleinere Flächen, die aus Umweltsicht wirklich unkritisch sind, eine substanzielle Verfahrensbeschleunigung möglich. 

Ob der nach § 13a BauGB mögliche Verzicht auf eine frühzeitige Beteiligung tatsächlich praxisgerecht ist, muss die Anwendung zeigen. Die Erfahrung aus vorangegangenen Katastrophen lässt eher erwarten, dass bei kurzfristigen Baugebietsentwicklungen der Abstimmungsbedarf so hoch ist, dass zumindest zwei Beteiligungen erforderlich werden. Die Regelung ist aber insoweit sinnvoll, als sie in wirklich einfachen Fällen ohne großen Abstimmungsbedarf eine Verkürzung des Verfahrens um einige Wochen ermöglicht.

Die geplanten Sonderregelungen zum Ausgleich von Eingriffen in Boden, Natur und Landschaft erschließen sich nicht vollständig. Mit § 246c Abs. 2 Nr. 3 BauGB-E wird die Möglichkeit eröffnet, Entsiegelungen im Wiederaufbaugebiet als Ausgleich für Eingriffe in Bebauungsplänen für Ersatzbauflächen heranzuziehen. Dies dürfte auch ohne eine explizite Regelung in der bauleitplanerischen Abwägung problemlos möglich sein, ebenso könnten entsiegelte ehemalige Bauflächen auch in Ökokonten eingebucht werden. Wir empfehlen daher, die Nr. 3 ersatzlos zu streichen. Die nach Nr. 5 für Einzelfälle mögliche Ersatzzahlung nach § 15 Abs. 6 BNatSchG ist mit der Systematik des § 1a Abs. 3 BauGB, wonach der Ausgleich insgesamt Gegenstand der Abwägung ist und Ausgleich auch überörtlich möglich ist, nur eingeschränkt kompatibel. Wir empfehlen daher zu prüfen, ob eine solche Regelung tatsächlich erforderlich ist und in der Bauleitpraktisch gut handhabbar wäre.

Berlin, den 13.04.2023

Dr.-Ing. Martin Rumberg, SRL-Vorstand

Stellungnahme


Dr. Martin Rumberg, Stellvertretender Vorsitzender der SRL, hat als Vertreter für die SRL als eingeladener Sachverständiger an der öffentlichen Anhörung des Bundestagausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen am 17. April 2023 teilgenommen.

Den Livestream der öffentlichen Anhörung finden Sie hier: 
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw16-pa-wohnen-digitalisierung-bauleitverfahren-942366