Berlin, 10.06.2025
Sehr geehrter Herr Janssen, sehr geehrte Damen und Herren,
wir bedanken uns für die Gelegenheit, zum Referentenentwurf des Gesetzes zur
Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung vom 04.06.2025
Stellung nehmen zu können.
Die Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung (SRL) e.V. vertritt als Fach- und Berufsverband die Interessen aller in der räumlichen Planung Tätigen. Unsere Mitglieder arbeiten u.a. in den Bereichen Regional- und Stadtplanung, Verkehrsplanung, Landschafts- und Umweltplanung. Die SRL ist im Lobbyregister beim Deutschen Bundestag (R003672) eingetragen.
Vorbemerkung
Der vorliegende Referentenentwurf umfasst wichtige Änderungen des Baugesetzbuchs. Angesichts der Auswirkungen dieser Änderungen ist eine Frist von nur zwei Arbeitstagen unangemessen. Wir regen an, dass das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen für Länder- und Verbändeanhörungen künftig längere Stellungnahmefristen einräumt. Aufgrund der kurzen Frist erhalten Sie eine zusammenfassende Bewertung des wesentlichen Inhalts des Referentenentwurfs. Wir verweisen ergänzend auf unsere Stellungnahme vom 16.08.2024.
Zum Planverzicht in §§ 31, 34 und 246 e BauGB-E
Frühere Novellierungen des BauGB hatten stets das Ziel, Planverfahren zu beschleunigen. Der vorliegende Referentenentwurf zum BauGB zielt nicht mehr auf die Beschleunigung von Planverfahren ab, sondern ermächtigt durch äußerst weitreichende Befreiungen und Abweichungsregelungen bei Wohnbauvorhaben auf das Planungsinstrument der Bauleitplanung vollständig zu verzichten. Damit läutet er einen bedenklichen Paradigmenwechsel ein.
Gemäß § 31 Abs. 3 Satz 2 BauGB-E soll von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht nur im Einzelfall, sondern für mehrere vergleichbare Fälle befreit werden können. Von der festgesetzten Art und vom Maß der baulichen Nutzung, der Gebäudehöhe oder anderen Festsetzungen soll befreit werden können, ohne dass die Öffentlichkeit oder die Träger öffentlicher Belange beteiligt würden. Der Entwurf geht weit über die bisher diskutierten Befreiungsmöglichkeiten hinaus: Die Befreiungen sollen nicht nur in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten, sondern bundesweit gelten und eine Befreiung soll sogar bei Abweichung von den Grundzügen der Planung möglich sein. Nach der Begründung des Referentenentwurfs soll die Befreiung für Vorhaben bis an die Grenze von 20.000 m² Grundfläche gelten. Ohne vertiefende Erläuterung ist erkennbar, dass damit alle Bemühungen um eine integrierte Stadtentwicklung in Deutschland konterkariert werden.
Wenn bundesweit von den Festsetzungen eines Bebauungsplans bei jedem Bauantrag für Wohngebäude in diesem Umfang abgewichen werden kann, gibt es kaum einen Grund für die Kommunen, zur Steuerung ihrer Wohnungsentwicklung überhaupt Bauleitpläne aufzustellen.
- 34 Abs. 3a BauGB-E ergänzt die oben genannte Regelung für Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile. Demnach soll bei Wohnbauvorhaben vom Erfordernis des Einfügens in die nähere Umgebung abgewichen werden können. Dabei bleiben selbst massive Überschreitungen des die Umgebung prägenden Maßes der baulichen Nutzung außer Betracht. Die Regelung erlaubt sowohl eine unbestimmt hohe städtebauliche Dichte als auch eine unbegrenzte Gebäudehöhe. Noch nicht einmal von der Art der baulichen Nutzung her muss sich ein Wohnbauvorhaben in die Umgebung einfügen. Rechtliche Schranken ergeben sich nur noch aus dem Eigentumsrecht der Nachbarn und dem Rücksichtnahmegebot. Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger entfallen. Dies verlagert die Lösung von Konflikten, die Aufgabe der Planung ist, auf eine Vielzahl privater Rechtsstreitigkeiten. Dies kann ein Risikofaktor für Investitionen werden.
Zusammen mit der Änderung in § 34 Abs. 2 BauGB-E, der eine Verbindung zu § 31 Abs. 3 BauGB-E herstellt, ist zu befürchten, dass künftig in einem großen Umfang städtebaurechtliche Genehmigungsentscheidungen ganz ohne Planung und ohne jede demokratische Teilhabe getroffen werden.
Im Referentenentwurf vermissen wir die ursprünglich vorgesehene Regelung in § 34 Abs. 1 BauGB, nach dem im unbeplanten Innenbereich Anforderungen an Vorhaben gestellt werden konnten, die der Klimaanpassung dienen.
Der sog. Bauturbo in § 246e BauGB-E geht noch weiter. Er erlaubt, beim Wohnungsbau von allen Vorschriften des BauGB und der BauNVO abzuweichen, das heißt auf jegliche Bauleitplanung zu verzichten. Dies soll nicht nur für den Innenbereich, sondern auch für den damit im räumlichen Zusammenhang stehenden Außenbereich im Abstand von 100 m gelten. Wohngebäude können ohne planerischen Vorlauf im Rahmen der Vorhabenzulassung genehmigt werden. Das führt zu einer deutlichen Absenkung von Umweltstandards und begünstigt die Schaffung ungesunder Wohnverhältnisse. Da die Sicherung der nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung gem. § 1 BauGB Kernaufgabe der Bauleitplanung, aber nicht Ziel der Vorhabenzulassung ist, besteht die Gefahr städtebaulicher Fehlentwicklungen, die von künftigen Generationen nur noch mit großem Aufwand zu reparieren sind.
Der neu vorgesehene § 36a BauGB-E ist zur Sicherung der kommunalen Planungshoheit und Gewährleistung eines transparenten Verfahrens nicht geeignet, da er eine nur zweimonatige Frist für Stellungnahmen vorsieht, die lediglich um höchsten einen Monat verlängert werden kann. Dieser Zeitraum ist viel zu kurz, um eine Beteiligung der Öffentlichkeit wie auch der Träger öffentlicher Belange durchzuführen, eine Auswertung der eingegangenen Stellungnahmen durchzuführen und kommunale Beschlüsse zu fassen.
Die Planerverbände haben die nunmehr vorgesehenen Regelungen bereits in der Vergangenheit einmütig abgelehnt und an die Bundesregierung mehrfach appelliert, auf diese Regelungen zu verzichten. Stattdessen wurden sie mit vorliegendem Entwurf noch weiter verschärft. Der Referentenentwurf nimmt mit der umfangreichen Ermächtigung zum Planungsverzicht die Abschaffung der Bauleitplanung und damit den Anfang vom Ende der geordneten städtebaulichen Entwicklung in Kauf.
Im Gegenteil wäre es dringend erforderlich, die Bauleitplanung als zentrales Instrument der kommunalen Planung zu sichern und neu aufzustellen, indem das Planverfahren entschlackt und dadurch deutlich beschleunigt wird. Dazu gehört z.B. eine Beschränkung des Umweltberichts und anderer Untersuchungen auf das für das jeweilige Planverfahren erforderliche Maß. Hierzu enthält der Referentenentwurf leider keine Aussagen.
Die Beteiligung aller Akteure und die Mitwirkung der Öffentlichkeit sind entscheidend für eine gemeinwohlorientierte und umweltgerechte Stadtentwicklung. Die Bauleitplanung bietet die Gewähr, widerstrebende Interessen in einem geordneten, ergebnisoffenen und transparenten Verfahren zum Ausgleich zu bringen. Sie ist Ausdruck gelebter Demokratie und darf nicht „wegbeschleunigt“ oder durch Ermächtigungen zum Planverzicht abgeschafft werden. Die Konflikte, die sie lösen kann und muss, werden damit nicht beigelegt oder beseitigt.
Die Abschaffung von demokratischen Verfahren sowie der Bürgerbeteiligung betrachten wir mit großer Sorge.
Die SRL unterstützt das Ziel, Wohnungsbau, insbesondere bezahlbaren, gemeinwohlorientierten Wohnungsbau, zu fördern. Allerdings muss er städtebaulich verträglich und angesichts des Klimawandels zukunftsfähig sein. Der Referentenentwurf ersetzt eine zukunftsorientierte Planung durch kurzfristige Einzelentscheidungen. Das halten wir für falsch!
Mit freundlichen Grüßen
Susanne Jahn, Vorsitzende der SRL Guido Spohr, SRL-Geschäftsführer